Johannes Knecht: musikalischer Lebenslauf

Johannes Knecht

Johannes Knecht

WENN DEINE STIMME ERST EINMAL FREI SCHWINGT,
kannst du entscheiden, wie du singst, ob du rauchig, härter oder weicher singst.

Mit 14 Jahren waren für mich diese Worte meines damaligen Klavierlehrers Stephan Hofmann, eines Studenten der Schulmusik mit Hauptfächern Gesang und Dirigieren, entscheidend dafür, auch Gesangsunterricht zu nehmen.

Klassischen Gesang fand ich bis dahin inakzeptabel.

Bisher war ich Leadsänger, Songwriter und Keyboarder in einer Artrockschülerband und bekam heftige Kopfschmerzen nach längeren hohen lauten Passagen.
Auch war meine Sprechstimme zu der Zeit verhaucht und ich fand es verlockend, mal lauter werden zu können, ohne heiser zu werden, und erhoffte mir generell ein selbstbewussteres Auftreten mit einer geschulten Stimme.
Allererste Sprünge mit einem lauten: HAAAAA beim Aufkommen wurden irgendwann abgelöst von Übungen des Funktionalen Stimmtrainings nach der Lichtenbergmethode, wissenschaftlich untermauert durch ein Projekt an der Universität Darmstadt mit der Prämisse: Der Ton holt sich seine Energie von allein.

Besonders hierbei: Endlich durften Männer auch in Frauenlage und Frauen in der tiefen Männerlage trainieren, was bisher bei der konventionellen Hochschulausbildung als kontraproduktiv angesehen wurde.
Also: unter anderen Sirenenübungen in höchste Höhen und tiefste Tiefen, die vollständige Neutralisierung des Bruchs zwischen Kopf- und Bruststimme.

Inzwischen war ich bereit für das Angebot Stephan Hofmanns, als singender Betreuer zum Landesjugendchor Baden-Wuerttemberg zu fahren.
Unter Dirigenten wie Dan-Olof Steglund, Eberhard Friedrich und insbesondere Hellmuth Rilling, lernte ich die klassische Chorliteratur kennen: A Capella Werke von Heinrich Schütz bis zur Moderne, grössere Chorwerke wie das Requiem von Brahms. Später durfte ich im Kammerchor der Musikhochschule Karlsruhe unter der Leitung von Professor Martin Schmitt meine Chorkenntnisse als Gastsänger vertiefen.

Ebenfalls als Gast nahm ich am Dirigierseminar Stephan Hofmanns teil, der dieses inzwischen als Lehrbeauftragter leitete.
Am Wichtigsten war ihm eine frei schwingende, fliessende Dirigierbewegung: ein harter Schlag führt zu hartem Singen, und in die Luft gezeichnete Ornamente sind zu meiden; überflüssig und ablenkend.

DER FREI SCHWINGENDE TON, DIE FREI SCHWINGENDE UND FLIESSENDE DIRIGIERBEWEGUNG KÖNNEN NUR VON EINER FREIEN -BEFREITEN-PERSÖNLICHKEIT PRAKTIZIERT WERDEN

Es ging und geht mir um Persönlichkeitsbildung: ich will in mir frei werden, ganz werden, und bin heute noch auf dem Weg.

Mich mit meiner Stimme zu beschäftigen, jeden Tag aufs Neue zu ihr zu finden, war meine tägliche Meditation geworden.

Ich half, den Konzertchor Darmstadt unter Wolfgang Seeliger bei der Uraufführung einer kurdischen Sinfonie mit Chor in der Frankfurter Konzerthalle ebenso zu verstärken wie den Züricher Oratorienchor beim Requiem von Verdi.

Klavierunterricht:

Die fünf Jahr am Badischen Konservatorium brachten mir keinen Spass:
Mit Haydn und ähnlichen Komponisten konnte ich nichts anfangen.
Von Musik als Selbstausdruck oder ähnlichem war man weit entfernt.
Es ging um Leistung, um die halbjährlichen Vorträge und die daraus resultierenden Noten.
Musik als Quälerei und Leistungsdruck: ich war ein schlechter Schüler.

Später, erst in der Band, dann auch unter Stephans Anleitung – er war ursprünglich als Improvisationslehrer zu mir gekommen -, lernte ich, meine eigenen Ideen zu verwirklichen und auch z.B. eine Sonate Beethovens zu begreifen als klanggewordener innerer Kampf, der mich direkt angeht.

Alexandertechnik und Klavierunterricht: Der Pianist und Klavierlehrer Karsten Krutz vermittelte mir weitere Einblicke in das Wesen des Klavierspiels und der Musik allgemein: Innere Aufgerichtetheit, spiele nur so schnell wie du kannst; akzeptiere Fehler als Teil deiner Musik. Der Finger hat einen direkten Kontakt zur Klaviertaste, der Impuls zu einem Ton führt direkt zur ausführenden Bewegung. Keine seltsamen Auf- und Abbewegungen der Schultern, kein Streicheln der Taste. Direkt und unmittelbar vom Impuls zum Klang.

Die Welt ist Klang, Indienaufenthalt, Sufismus

Der Berliner Philosoph Jochen Kirchhoff schreibt in seinem Buch „Klang und Verwandlung“ über die „Klassische Musik als Weg der Bewusstseinsentwicklung“, so beschreibt er die Ähnlichkeit tibetischer Götterriten mit den Bayreuther Festspielen.

Meditationslehrer Pir Vilayat Inayat Khan ((* 19. Juni , † 17. Juni 2004),an dessen Retreats ich mehrmals teilnahm, lehrt klassische Musik als transformierende spirituelle Technik: Je mehr ich mich mit etwas beschäftige, desto mehr wird das Teil von mir und ich strahle es aus; so zum Beispiel den Bachschen Frieden oder die Mozartsche Glückseligkeit.

In Indien lernte ich im Ashram von Satya Sai Baba (* 23. November 1926 † 24. April 2011) die ekstatische Wirkung der Bajans, religiöser Gesänge, kennen, die etwa vergleichbar sind mit den Gesängen in Fussballstadien, nur, dass sie spiritueller Natur sind. Ebenso lernte ich dort die Grundlagen des Sitarspiels:

Während westliche Musik die „Analyse des Aussen“, die Vielfarbigkeit, die Welt der unzähligen Klänge, Klangfarben und Töne ist, als Beispiel dient das grosse Orchester, ist die indische Musik „das Verherrlichen des einen Tones“, die Reise nach Innen, das Entdecken der Vielfarbigkeit des einen Klanges, das Reich der Obertöne.
Es bedarf einer Hörschulung, um einen Ton, der ein Gemisch aus Sinuston und verschiedener Obertöne ist, als viele Töne, als „Sinfonie der Obertöne“, zu begreifen.
Ein eingestrichenes „a“ auf einem Klavier unterscheidet sich etwa von einem gleichhohen Ton auf der Violine durch seine andersartige Zusammensetzung seiner Obertöne: Was wir als Klangfarbe wahrnehmen, nimmt der östlich geschulte Musiker als Zusammenklang verschiedener Töne wahr.
Indische Musik braucht innere Ruhe: Mein Sitarspiel klingt kratzig und harsch, wenn ich nicht entspannt bin, und weich und öffnend, wenn ich in mir ruhe.
Diese Erfahrung beziehe ich seitdem auf alle Musik.

Musikhochschulen

Nach Abitur und 20monatigem Zivildienst als Pfleger in einem Alterspflegeheim begann ich mit jahrelangen Aufnahmeprüfungstouren durch ganz Deutschland.
Sowohl für Schulmusik als auch für Gesang bewarb ich mich immer wieder; an manchen Hochschulen spielte und sang ich dreimal vor,sodass eine weitere Aufnahmeprüfung nicht mehr möglich war.
Manchmal rasselte ich hochkant durch, manchmal war es nur ein Punkt, der zur Zulassung zum Studium fehlte.
Ich glaube heute, dass ich mich selbst blockiert hatte, da ich in tiefstem herzen bei meinen Lehrtern bleiben wollte, ohne mir das richtig zuzugestehen.
Zu dieser Zeit ass ich vegetarisch, nahm keinerlei Genussmittel und hörte ausschliesslich klassische Musik, um die verwandelnde Wirkung eines solchen Lebens auszuprobieren.
Dieses Experiment habe ich inzwischen schon lange aufgegeben.

Finanziell hielt ich mich mit Ensembleleitung, Klavierunterricht und Aushilfe als Verkäufer in einem Modebekleidungsgeschäft über Wasser, wobei trotzdem noch eine Unterstützung durch meine Eltern notwendig war.

Professor Wayne Long, Kammersängerin Christa Lüdeke

Im Lauf der Jahre wurde mir aber auch bewusst, dass eine rein auf Selbstverwirklichung ausgerichtete musikalische Ausbildung nicht zu einer Laufbahn als Profimusiker führt.
Als „Übungsweltmeister“ kann ich trotzdem nicht professionell singen, und an den Hochschulen und Opernhäusern geht es massgeblich um Abliefern.
Nach Innen hatte ich genug gelernt, und in mir war der Wille entstanden, diese unangenehme Seite des Musikerberufs zu erlernen, und auch bekam ich keine neuen Impulse mehr durch meine langjährigen Lehrer.

Durch Privatunterricht bei Lucy Colby-Long, und später bei ihrem Mann, dem „Wunderprofessor“ (Zitat eine meiner schnell wechselnden Gesangslehrer in dieser Zeit) Wayne Long bekam ich Einblick in das Hochschulwesen und lernte auch meine heutige Lebensgefährtin Keiko Matsumoto, kennen. Lucy und Wayne zeigten mir die für mich bis dahin fremde Opernwelt: Ich lernte die grossen internationalen Tenöre kennen: Benjamin Gigli, Jussi Biörling, James King, Ramon Vinay, Franco Bonisolli, James McvCracken, und Franco Corelli. Die „Stuttgarter Jahre“ brachten mich letztlich persönlich weiter, aber Profisänger wurde ich nicht.

Über Unterricht bei einem am Karlsruher Staatstheater engagierten australischen Sänger, Stephen Ibbotson, lernte ich dessen Lehrerin kennen, die Leipziger Kammersängerin Christa Ziese-Lüdeke, die nach Neckargemünd bei Heidelberg gezogen war und sich zu meinem grossen Glück meiner annahm.

Keine Esoterik mehr.
Kein „du musst es nur fühlen, dann singt es von allein“ oder so.

Handfeste, klare zielgerichtete Übungen.
Ich fuhr zweimal die Woche morgens zu ihr hin.
Sie arbeitete vormittags mit mir ca zwei Stunden, dann gab es Mittagessen, Mittagspause und noch einmal zwei Stunden.
Und es fruchtete.

Für die Hochschulen war ich inzwischen zu alt geworden, also sang ich erst für den Extrachor des Karlsruher Staatstheaters vor, dessen Chorleiter Carl-Robert Helg ( (* 26. Mai 1956 ; † 23. Juli 2011 ) von meiner dramatischen Stimme so begeistert war, dass er mich nach Zürich auf eine Soiree bei einer Gräfin singen liess, auf der „schon Domingo gesungen hat“: ich scheiterte kläglich, bekam die Arie von Max aus „Der Freischütz“ nicht zu Ende. Bezeichnend die Schlussätze: „Mich fasst Verzweiflung, foltert Spott …“

Der Leiter der Sängeragentur des Arbeitsamts (ZBF), Herr Steinhaus, gab mir gleich ein grosses Paket an offenen Stellen in verschiedensten Opernchören mit und meinte, wenn ich das nicht schaffen sollte, gäbe er mir neue: Tenorstellen wachsen nach. Also wieder ein Vorsingmarathon an unzähligen Häusern, bis ich mir erst in Pforzheim eine Aushilfs-, dann eine feste Stelle dort und schliesslich ein festes Engagement im Tenor 2 des Opernchors des Stadttheater Dortmund ersang, dessen Mitglied ich seit 2001 bin.

Manfred Jung

Der Bayreuther Wagnertenor Manfred Jung, der als einziger Tenor in Bayreuth sämtliche Tenorpartien des Rings auf der Bühne gesungen hat, vermittelte mir in den Jahren meines Unterrichts bei ihm ein Gefühl für die Wichtigkeit der Details: Ob Wagner eine Achtel oder eine Sechzehntel geschrieben hat, macht einen Unterschied, wie er mir an vielen Stellen belegte. Ebenfalls ist er ein grosser Verfechter von Textverständlichkeit: Die stimmhaften Konsonantenbehandlung hat er mir beigebracht.

Chor- und Ensembleleitung

In meinen ersten Jahren in Dortmund bekam ich die Anfrage, ob ich einen Gospelchor leiten wollte: Ich sagte erst ab, da mir die aufgesetzte Fröhlichkeit und das „Sing and be happy“ wesensfremd ist. Es stellte sich heraus, dass dieser Chor eher Pop und Rock a capella singen wollte, also bewarb ich mich mit einer selbstgeschriebenen Version von „Hells Bells“ von AC/DC und bekam die Stelle. Back to the roots: Für dieses Ensemble stellte ich a-capella-Versionen meiner Lieblingsrocks- und Popsongs her und wir führten diese auf. (Unter anderem „Comfortably Numb“ (Pink Floyd, The Wall), „Weil Du nicht da bist“ (Element Of Crime), und eine übersetzte Version von Peter Gabriels „Wallflower“, (Bleib stark)).

Als nächstes vermittlete mir der Chordirektor des Opernchors, Granville Walker, die Leitung des neu gegründeten „der neue chor an st.patrokli“, aus dem dieses Jahr die „Klangfarben“ hervorgegangen sind.
Mit dem Profil „neue geistliche Musik des 20. und 21. Jahrhunderts“ begannen wir mit der „missa terra supermontale“ (Thomas Gabriel), führten im Lauf des Bestehens die „missa in jazz „(Peter Schindler), über die „Chichester Psalms (L. Bernstein, und anderen als Höhepunkt die „Mass in Blue“ (Will Todd) in der Version für Bigband, Sopransolo und Chor auf.

Circus Furioso mit dem Chor der Kirchhörder Grundschule

Als die Rektorin der damaligen Grundschule meines Sohnes Raphael anfragte, ob ich dort einen Chor leiten würde, sagte ich zu. Wichtig war mir, dass ohne Vorsingen, ohne „Sieb“ jedes Kind die Möglichkeit hatte teilzunehmen. Aus der Idee, in der Turnhalle eine kleine szenische Darstellung aufzuführen, wurde nach Rücksprache mit der Intendantin der Oper, Christine Mielitz („Aber Knecht-Lieber, nicht in Konkurrenz zur Kinderoper!“) eine Uraufführung mit professionellen Musikern und Regie und Darstellern in der Kinderoper mit echtem Feuerschlucker und insgesamt zehn ausverkauften Vorstellungen. Im Vordergrund stand für mich der Spass der Kinder an der anspruchsvollen, disziplinerfordernden Arbeit, und genauso wichtig die Freude des Publikums an den Aufführungen.

Granville Walker

Meine Tätigkeit als Sänger im Opernchor bringt es mit sich, dass ich mit zahlreichen Dirigenten arbeite und ihnen bei ihrer Arbeit zuschaue. Jeder Dirigent hat eine andere Auffassung des jeweiligen Musikwerks, jeder motiviert auf eine andere Weise; es gibt erhebliche Unterschiede beim Dirigierschlag sowie bei der persönlichen Art, die Musik zu transportieren. Höhepunkt für mich war hier die Arbeit mit Hans Wallat, dem Ehren-Generalmusikdirektor des Theater Dortmund.

Am meisten geprägt hat meine Arbeit mit Chören der Direktor des Opernchors des Theater Dortmund, Granville Walker, unter dessen Leitung ich seit über zehn Jahren beinahe täglich Chorpartien einstudiere. Mit freundlicher, toleranter aber nachdrücklicher Art, phänomenalem Gehör und hoher Musikalität hat er sowohl den vielgelobten Opernchor sowie als auch mich persönlich geformt.

Arbeit mit dem Chor

„Wenn der erste mit dem letzten Ton zusammen fällt, ist es Musik“ (S.Celibidache)

Wir gehen gemeinam auf Entdeckungsreise, wir sind Archäologen, Goldgräber, die aus den Noten langsam etwas herausarbeiten, manchmal sehr langsam und scheinbar ohne Fortschritt, und auf einmal ist da klanggewordenes Gefühl.
Das sind schöne Momente in der Probe; auch die trance-artigen Phasen, in der wir uns dem Gespür folgend mit den Noten als Wegweiser voranbewegen.

Im Besten Fall ganz entspannt im Hier und Jetzt im „Flow“.

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